aus Kai Uwe Schierz: Ornamental Patterns 2013

Als Margret Eicher um die Mitte der 1980er Jahre an ihren Copy Collagen zu arbeiten begann, ließ sie sich von Ideen der poststrukturalistischen französischen Philosophie anregen – vor allem von Michel Foucaults Diskursanalysen (zum Verhältnis von Wissen und Macht, Überwachen und Strafen). Ihre großformatigen, oft auch begehbaren Copy Collagen vernetzten schon früh fotografisches Bildmaterial, typografische Elemente und Ornamentfriese aus höchst diversen Quellen – Massenmedien, Kunst- und Architekturgeschichte, Politik, Werbung, Kino und Körperkultur – zu rhythmischen wie repetitiven Strukturen ohne Zentrum und Peripherie, die im Prinzip hätten immer weiter ausgebreitet werden können. Formal behaupten diese jeweils auf bestimmte räumliche Voraussetzungen bezogenen Strukturen die Gleichwertigkeit aller ihrer Teile durch Unterordnung unter eine übergreifende Formidee. Auch die permanente Repetition der verschiedenen Einzelelemente relativiert sie in ihrer jeweiligen Bedeutung. Der zentrale Begriff, der dieser Formgebung zugrunde liegt, ist der des Ornaments.

Der Strukturbegriff Ornament wirkt in gewandelter Weise in den gegenwärtigen Werken Margret Eichers, den Medientapisserien, weiter. Hier realisiert sich die bereits in den Copy Collagen entwickelte inhaltliche Übertragung ornamentaler Wirkungszusammenhänge in psychologische und soziologische Vorstellungen: Das Ornament wird analog zur gesellschaftlichen Wirklichkeit als die formale Zwangsstruktur betrachtet – Rasterung, Typisierung, Redundanz. Das Zitat der höfischen Tapisserie in ihrer absolute Macht postulierenden Normierungstendenz ermöglicht die Untersuchung der „Herrschenden Muster“ mit anderen Mitteln, nämlich in der Neuformierung zeitgenössische Medienbilder unter eben den Aspekten derNormierung und Rasterung unseres Denkens.

Ornament und Collage – Konfrontation als Strategie

Margret Eicher zeichnet die Basiselemente ihrer ornamentalen Kompositionen nicht selbst. Wie Warhol oder Roehl reproduziert sie vorgefundenes Bildmaterial (mediale ready mades), verarbeitet das Kopierte jedoch nicht gleichförmig und seriell, sondern bringt es in Form von kontrastierenden Elementen einer größeren Ordnung zum Einsatz. Der Begriff Copy Collage, den sie zur Bezeichnung dieser Werke gefunden hat, verweist auf das von Künstlern wie Hannah Höch und Max Ernst in den 1920er und 1930er Jahren zu hoher Meisterschaft geführte Verfahren der Bildercollage: Ausschnitte diverser druckgrafischer und fotografierter Motive aus Büchern und Zeitschriften wurden dafür an- und übereinander montiert. Kompositorisch überführt die Bildercollage vordergründig unvereinbare Elemente in ein spannungsgeladenes Miteinander, das im gelungenen Fall geeignet ist, im Betrachter Funken der Erkenntnis oder Phantasie zu zünden. In der Tradition von Höch und Ernst entfremdet auch Margret Eicher einzelne Bildmotive ihren ursprünglichen Kontexten und ordnet sie in neue Zusammenhänge ein – in ihrem Fall sind es großformatige ornamentale Strukturen. Ihre Reihungen, Staffelungen, Symmetrien, Spiralen etc. bilden ein stabiles formales Korsett und erzeugen selbst dort noch Eindrücke von formaler Kohärenz, wo die bildhaften Einzelelemente extrem divergieren. Dieses rhythmische Zusammenspiel des inhaltlich Unverbundenen, oft genug Gegensätzlichen wirkt mitunter ironisch, von Fall zu Fall auch befremdlich, mitunter gar absurd. Denn der übergeordnete Formzusammenhang suggeriert einen übergeordneten Sinnzusammenhang.

Im unverbundenen Nebeneinander verschiedener Bildmotive, in den inhaltlichen Brüchen, welche auch die übergreifende ornamentale Struktur nicht vermitteln kann, reflektiert Margret Eicher die divergierenden Lebenswirklichkeiten der Gegenwart. Die Künstlerin spricht diesbezüglich von herrschenden Mustern: gesellschaftlich dominante Bilder, Vorstellungen und visuelle Codes verstehen, die Zeitgeistiges transportieren: Welche Ideale und Wertvorstellungen sind tonangebend, setzen Trends, prägen die Einstellung und das Handeln von sozial repräsentativen Gruppen? Wie sehen Leitbilder aus und in welchem Verhältnis stehen sie zu anderen Leitbildern? Anderseits kann man unter herrschenden Mustern aber auch Techniken der Verknüpfung diverser Inhalte verstehen oder prägende Organisationsformen von Wissensbeständen und Werturteilen, die Rückschüsse auf die zugrunde liegenden Weltanschauungen zulassen. Die Auszüge aus den Massenmedien und dem Internet, die Margret Eicher vornimmt, zeugen nicht von weltanschaulicher Indifferenz (Warhol liegt ihr diesbezüglich fern), auch wenn die ornamentalen Strukturen ihrer Copy Collagen die Differenzen zwischen den diversen Bildelementen relativieren. Vielmehr bezeugt ihre Arbeit das wache Sensorium der Künstlerin für ästhetische, philosophische und soziale Unterschiede. Derartige Differenzen werden registriert und vorgezeigt, jedoch nicht vordergründig hierarchisiert. Hier kommt ihr die Eigenart ornamentaler Ordnungen entgegen, durch Vervielfältigung eine anschauliche Kohärenz und kompositorische Gleichwertigkeit ihrer Einzelelemente herzustellen.

Auf den ersten Blick mag es verwundern, doch versetzen uns ornamentale Ordnungen in die Lage, bestimmte Aspekte einer modernen und liberalen Weltanschauung wie die Relativität der in ihr etablierten Werte zu visualisieren. Wie bereits bemerkt, versetzen derartige Ordnungen ihre verschiedenen Einzelelemente in eine Balance der Gleichwertigkeit. In großflächigen ornamentalen Strukturen findet sich kein Zentrum und kein ästhetisch führendes Leitelement mehr. Vielmehr relativieren sie im Ergebnis der rhythmisch-seriellen Vervielfältigung ihrer Einzelelemente vorausgehende Hierarchien und widerstreitende Bedeutungen. Paradoxerweise liefern ornamentale Strukturen also prägnante Muster, in denen sich zeitgenössisches Bewusstsein ästhetisch artikulieren kann. Das Phänomen der Ungewissheit und Unabgeschlossenheit alles Forschens in Bezug auf die letzten Fragen bringt beispielsweise die erstmals 1998 ausgeführte Copy Collage Wo ist Gott? (Abb.S. ...) zum Ausdruck – mit unverkennbar ironischer Note. Darin verbindet sie die Figur des rasenden Reporters Tintin aus der berühmten belgischen Comic-Serie mit der Reproduktion eines barocken Deckengemäldes von Giambattista Tiepolo, welches den griechischen Götterhimmel in Gestalt einer Apotheose des Helios im Sonnenwagen imaginiert, zu einer ornamentalen Endlosschleife: Die gestellte Frage wird offen bleiben. Margret Eicher hat mit den wandfüllenden Bilderornamenten der Copy Collagen aber auch eine künstlerische Form entwickelt, die es ihr erlaubt, den massenhaft reproduzierten schönen Schein zu thematisieren, wie ihn Werbeagenturen und Massenmedien unermüdlich und nunmehr mit der Schubkraft des Digitalen in die Welt setzen – auch das ein vorherrschendes Muster heutigen Welterlebens.